In diesem Jahr gedenkt die Fußballfamilie besonders der Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität als „Abartige und Homosexuelle“ stigmatisiert und brutal verfolgt wurden. Aus diesem Anlass haben wir Vera Ohlendorf, Projektmitarbeiterin bei "Queeres Netzwerk Sachsen", ein paar Fragen zu dem diesjährigen Hauptthema gestellt.
Vera Ohlendorf, Sie sind Projektmitarbeiterin bei der Fachstelle „Queeres Netzwerk Sachsen“. Können Sie kurz die Aufgaben, Angebote und Ziele dieses Projekts beschreiben?
Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk Sachsen, gegründet 2016, ist der Dachverband der sächsischen Organisationen und Vereine, die sich für die gleichberechtigte Teilhabe von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen (LSBTIQ*) einsetzt. Derzeit hat der Dachverband 17 Mitglieder. Die LAG vertritt deren Interessen landesweit vor Ministerien, Behörden und Fachpolitiken des Freistaats Sachsen und arbeitet mit zivilgesellschaftlichen Verbänden, Institutionen und Unternehmen zusammen. Da LSBTIQ* in allen gesellschaftlichen Bereichen Realität sind, beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Themen, beispielsweise mit den Feldern Bildung, Gesundheit, Arbeitswelt, Pflege, Familie oder eben auch mit dem Sport.
Homophobie und Sexismus sind gesellschaftliche Probleme und tragen sich leider auch im Sport zu. Gibt es belastbare Statistiken zu Vorfällen im Sport und wie würden Sie die Situation im Fußball im Vergleich zu anderen Sportarten einschätzen? Immerhin verfügt der Fußball mit dem DFBnet-Spielberichtsbogen über ein Instrument, Verfehlungen überhaupt zu erfassen. Wie steht es da um andere Sportarten?
Seit 2020 gibt es dank der Studie „Outsport“ der Sporthochschule Köln und weiterer Projektpartner*innen belastbare Daten zu LSBTIQ*-Feindlichkeit im Breitensport in Deutschland und Europa. Sie zeigen: Im Sport ist ein offener und akzeptierender Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt nach wie vor nicht selbstverständlich. Äußerungen wie „schwuler Pass“, abwertende Witze und offene Diskriminierungen sind verletzend und können dazu führen, die Identität oder sexuelle Orientierung im Sport zu verbergen oder auf die Nutzung von Angeboten zu verzichten. Auch Sexismus bzw. Frauen*-Feindlichkeit ist im Sport generell weit verbreitet und zeigt sich beispielsweise dann, wenn der Frauensport mit weniger finanzieller Förderung auskommen muss oder wenn z.B. Frauenteams im Hochleistungssport deutlich schlechter bezahlt werden als Männerteams.
Der Sport ist insgesamt durch die Unterscheidung von zwei Geschlechtern und einer starken Körperbezogenheit geprägt. Das zeigt sich etwa auch darin, dass Trans* Personen in vielen Sportarten gemäß Geschlecht nicht zugeordnet werden bzw. ihre Zuordnung von anderen nicht akzeptiert wird. Inter* und nicht-binäre Menschen können meist nur am Wettkampfsportbetrieb im Breitensport teilnehmen, wenn sie sich als „männlich“ oder „weiblich“ zuordnen. Die Geschlechtskategorie „divers“ bzw. der offene Geschlechtseintrag finden bisher kaum Berücksichtigung. Darüber hinaus stellt die Nutzung von Sanitär- und Umkleideräumen, von Schwimmhallen oder Saunen für viele Trans*, Inter* und nicht-binäre Personen eine Zugangsbarriere dar.
Im Fußball, auch in Sachsen, passiert aus meiner Sicht schon einiges. Zum Beispiel unterzeichnete 2019 RB Leipzig die Berliner Erklärung und setzt sich damit gegen Homofeindlichkeit und für Vielfalt, Akzeptanz und Respekt im Sport ein. Die Initiative zur Unterzeichnung ging vom ersten schwul-lesbischen Fanclub von RB Leipzig aus. Zudem ist der Berliner Fußballverband meines Wissens nach die erste Sportinstitution dieser Größe, die Menschen mit dem Geschlechtseintrag „divers“ bzw. dem offenen Geschlechtseintrag die Wahl überlässt, ob sie in Männer- oder Frauenteams eine Spielberechtigung erwerben. Der DFB nutzt seit längerem eine geschlechterinklusive Sprache und hat zudem Ansprechstellen geschaffen. Auch der Spielberichtsbogen ist ein tolles Instrument, um Diskriminierungen und Gewalt einzudämmen. Der Fußball hat in Deutschland insgesamt eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung und ist deshalb auch besonders gefragt, Maßnahmen zu ergreifen. Auch andere Sportarten versuchen hier, erste Schritte zu gehen. Gleichwohl gibt es nach wie vor keinen offen schwulen Spieler in der ersten oder zweiten Bundesliga. Thomas Hitzlspergers Coming Out erfolgte erst nach seiner aktiven Zeit. In Interviews hat er von Hürden innerhalb der Vereine und Verbände, aber auch in den Medien, der Fankultur und der Gesamtgesellschaft berichtet, die es schwulen Fußballern erschweren, offen zu leben. Hier ist nach wie vor noch viel zu tun, um Barrieren abzubauen.
Fußball ist erfahrungsgemäß sehr emotional und es gibt immer wieder Akteure, die über das Ziel hinausschießen. Nicht selten kommt es bei der Bewertung von Vorfällen auch zu juristischen Beurteilungen, die sich unter Umständen von moralischen unterscheiden. Welche Attribute müssen erfüllt sein, um einen Vorfall als homophobe/sexistische Beleidigung einzustufen?
Das ist eine komplexe Frage. Eine Beleidigung ist bereits dann gegeben, wenn Äußerungen der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung gegenüber einer anderen Person erfolgen. Hierbei ist der Kontext wichtig: „Schwul“ ist beispielsweise nicht per se ein Schimpfwort, sondern eine wertfreie (Selbst)-Bezeichnung in Bezug auf die sexuelle Orientierung. Das Wort wird aber häufig in sehr abwertender Weise verwendet und ist nach wie vor eines der verbreitetsten Schimpfwörter auf deutschen Schulhöfen.
Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass sich Vereine und deren Verantwortliche mit diskriminierenden Strukturen und Phänomenen wie Ausgrenzung, Rassismus, Sexismus und Homo- bzw. Trans*feindlichkeit auseinandersetzen und eine Null-Toleranzstrategie fahren, also diffamierende Äußerungen nicht als „über das Ziel hinausgeschossen“ verharmlosen, sondern aufarbeiten bzw. solche Äußerungen grundsätzlich untersagen. Gleichzeitig können Verbote und strikte Regeln natürlich nicht allein dieses grundlegende Problem lösen, das ja auch ein gesamtgesellschaftliches Problem ist.